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Von Grenzen, Identitätsverlust und Hoffnung – Besuch des Tanztheaterstücks „Als mein Vater ein Busch wurde und ich meinen Namen verlor“ von disdance project

30.08.2022

„Ich dachte zu der Zeit nie, dass dort woanders war. Überall sonst war woanders. Nur nicht dort, wo wir wohnten.“ So reflektiert das junge Mädchen Toda ihre Situation, als sie vom Krieg von den einen gegen die anderen aus ihrem Zuhause herausgerissen wird und gezwungen ist, zu ihrer Mutter in ein anderes Land zu flüchten. Das multimediale Tanztheaterstück „Als mein Vater ein Busch wurde und ich meinen Namen verlor“ des Kölner Theaterkollektivs disdance project, das am 30. August 2022 im Theater der Keller aufgeführt wurde, beschäftigt sich mit den Themen Heimat, Krieg und Flucht aus der Sicht eines Kindes. Es richtet sich an ein Publikum ab 8 Jahren und basiert auf dem gleichnamigen Buch von Joke van Leeuwen. Der außergewöhnliche Titel des Stücks nimmt Bezug auf das Handbuch für angehende Soldaten, das Todas Vater zu Beginn des Krieges ausgehändigt wird und laut dem er sich als Busch tarnen soll, um den Feinden zu entgehen, sowie auf Todas Namensänderung im neuen Land.

Paula Scherf spielt und tanzt die Rolle der Toda auf der Bühne, begleitet von der Stimme der Schauspielerin und Sprecherin Nagmeh Alaei, die den gesprochenen Part der Toda übernimmt. Weiße rechteckige Leinwände unterschiedlicher Größe bilden den Hintergrund, auf den Videos mit dem illustrierten und gemalten Bühnenbild und dem restlichen Figurenensemble wie Soldaten, Familienmitgliedern und Mitarbeitern der Verwaltung, projiziert werden. Die Schauspielerin interagiert dabei mit den sich ändernden Videoinstallationen, die auf verschiedenen, sich ergänzenden, Bildschirmen Einblicke in die Handlung sowie die Gefühle und Erinnerungen Todas geben. Toda verliert nicht nur ihre Heimat und Sprache und fühlt sich „wie ein Paket, das immer wieder an die falsche Adresse gebracht wird“, sondern es wird ebenfalls gezeigt, wie sie und die anderen Kinder als Fremde abgelehnt und bevormundet werden und ihnen die Flucht trotz der Gefahr, in der sie schweben, fast unmöglich gemacht wird.

Paula Scherf und André Lehnert, die zusammen die künstlerische Umsetzung erarbeitet haben, liegt das Stück besonders am Herzen: „Wir haben ab 2013, vor allem mit Blick auf die zunehmenden Flüchtlingsbewegungen, angefangen uns mit den Themen Flucht und Krieg auseinanderzusetzen. Wir haben ein großes Interesse bei Kindern und Jugendlichen festgestellt, da diese Themen durch Gespräche am Esstisch zuhause, geflüchtete Mitschüler*innen und die Berichterstattung in den Nachrichten, Zeitungen und sozialen Medien auch in ihrem Alltag aktuell sehr präsent sind. Das Stück soll ein emotionales Miterleben ermöglichen und durch eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Perspektiven Empathie mit den Betroffenen fördern.“ Das Stück wurde nicht nur zusammen mit Kindern und Jugendlichen erarbeitet, die Hintergrundgeräusche und selbstgemalte Bilder beigesteuert und als Komparsen mitgewirkt haben. Ebenso haben einige Klassen das Thema in Form von Tafelbildern und Unterrichtseinheiten in der Schule wieder aufgegriffen und diskutiert. „Gerade die Abschiedsszene mit der Oma hat viele Kinder berührt und sie haben verstanden, dass niemand einfach freiwillig sein Zuhause verlässt“, so Lehnert und Scherf.

Bereits seit 2003 entwickelt das Label disdance project gUG interdisziplinäre Projekte, die Tanz, Theater, Videokunst und Bildende Kunst miteinander verbinden. Die RheinEnergieStiftung Kultur unterstützt disdance projekt derzeit mit einer Förderung der künstlerischen Entwicklung durch die Professionalisierung der Arbeitsstrukturen des Labels.

Über die Autorin
Nora Michels studiert Deutsche Sprache und Literatur und English Studies an der Universität zu Köln und absolvierte 2022 ein Praktikum bei den RheinEnergieStiftungen. Aktuell unterstützt sie die Stiftungen als Werkstudentin im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit.

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